Ein Bauernhof voller Energie

02. Dezember 2020

NEUE Vorarlberger Tageszeitung | Sonntag, 18. Oktober 2020; Vorarlberg S. 32, 33

Vor 20 Jahren hat Tobias Ilg den landwirtschaftlichen Betrieb von seinem Vater übernommen. Statt Milch wird hier nun erneuerbare Energie produziert. Und das äußerst erfolgreich.

Eine überdimensionale Schwarz-Weiß-Fotografie im Aufenthaltsraum erinnert an den bekannten Vorfahren: Der Bauernhof in Dornbirn-Hatlerdorf wurde einst von Ulrich Ilg, dem ersten Landeshauptmann Vorarlbergs nach dem Zweiten Weltkrieg, bewirtschaftet. Das Bild zeigt die Politikerpersönlichkeit bei der Arbeit im Forst. „Mein Opa galt als jemand, der nicht viel geredet hat. Dafür hat er die Dinge angepackt“, sagt Tobias Ilg über seinen Großvater. Auch er selbst ist einer, der das Heft gerne in die Hand nimmt. Als der Dornbirner im Jahr 2000 den elterlichen Betrieb übernahm, krempelte er diesen komplett um. „Mein Vater hat alles kritisch hinterfragt, aber mich machen lassen. Ich verdanke meinem Vater die Freiheit, den Betrieb neu auszurichten.“ Die Umstellung vom Milchviehbetrieb zum landwirtschaftlichen Energiedienstleister war für den Hofnachfolger kein einfacher, aber ein wohlüberlegter Schritt. Ein neues Tierschutzgesetz hätte den Bau eines neuen Stallgebäudes erforderlich gemacht. Dafür war der Standort mitten im Wohngebiet nicht geeignet. Die Neuausrichtung des Betriebs erfolgte zudem zu einem Zeitpunkt, in der es keine Lebensmittelengpässe gab. „Wenn die heimische Bevölkerung auf die Produktion von Lebensmitteln angewiesen wäre, würde ich die Flächen sicher anders nutzen“, betont der Landwirtschaftsmeister.

Energie aus Rindergülle. Die landwirtschaftliche Nutzfläche des Betriebs beläuft sich auf insgesamt 20 Hektar. Davon sind fünf Hektar Biodiversitätsflächen, die dem Erhalt der Artenvielfalt dienen. Weitere fünf Hektar sind für den Ackerbau vorgesehen: Hier werden in Fruchtfolge Dinkel für den Martinshof, Erdbeeren für den Winderhof oder Silomais angebaut. Auf einer Fläche von zehn Hektar werden Energiepflanzen produziert, mit deren Erträgen die Biogasanlage im Dornbirner Ried gefüttert wird.
Die Anlage, die rund 350 Haushalte mit Ökostrom versorgt, verwertet außerdem die Reste des Silomais sowie die Gülle von sieben umliegenden landwirtschaftlichen Betrieben. Die Gülle wird energetisch genutzt und dann den Landwirten zurückgebracht, die mit dem Gärsubstrat aus der Biogasanlage wieder ihre Felder düngen.
„Biogasgülle ist deutlich hochwertiger. Die Erträge beim Düngen steigen. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass die Gülle weniger stinkt“, erklärt Tobias Ilg, der das EnergieWerk Ilg gemeinsam mit seinem Bruder Bernhard führt. Mit der Wärme, die bei der Stromerzeugung entsteht, wird Hackgut getrocknet. Dieses wandert wiederum in eines der mittlerweile acht BiomasseHeizanlagen. Mittels 25 Kilometer langen Fernwärmeleitungen können etwa 400 Objekte ganzjährig mit Wärme versorgt werden. „Durch den Klimawandel  und die Dämmung bei Neubauten muss weniger geheizt werden. Der Bedarf an Strom wächst und wächst hingegen“, sagt Ilg.

Energiewende mitgestalten. Die Energiewende kann nur dann gelingen, wenn mehr Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Deshalb hat Familie Ilg in den vergangenen Jahren in den Bau von zwei Holzkraftwerken investiert. Aus Hackgut entsteht in einer von Tobias Ilg mitentwickelten Anlage brennbares Holzgas. Das gewonnene Gas wird gereinigt und im Biomasseheizkraftwerk in Ökostrom umgewandelt, welcher in das öffentliche Netz eingespeist wird. Die beiden Anlagen erzeugen jährlich sechs Millionen Kilowattstunden elektrische Energie, damit wird jeder zehnte Dornbirner mit Strom versorgt. Die beim Prozess entstehende Abwärme wird ebenfalls ins bestehende Fernwärmenetz des EnergieWerks eingespeist.
Als wertvolles 3. Produkt liefern die Holzkraftwerke Pflanzenkohle, die CO2 langfristig speichern kann. „Mit der Pflanzenkohle hat die Landwirtschaft einen Trumpf in der Hand. Sie kann aktiv mithelfen, gegen den Klimawandel mitzuwirken“, betont der engagierte Energielandwirt. Die Kohle speichert nicht nur CO2, sondern sorgt auch für Humusaufbau auf den Feldern. „Durch den Einsatz von Pflanzenkohle haben wir ertragreichere Böden, die noch dazu dem Klimawandel standhalten“, sagt der 47-Jährige. Darüber hinaus hat der Einsatz von Pflanzenkohle auch einen wirtschaftlichen Aspekt für die Landwirte: Sie haben die Möglichkeit, Klimadienstleistungen zu erbringen. Über eine InternetPlattform können sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen CO2-Zertifikate kaufen.
„Das Großartige daran ist, dass ich mir aussuchen kann, welches Projekt ich mit meinem Geld unterstützen möchte. So kann ich beispielsweise gezielt einen Bauern aus dem Bregenzerwald auswählen.“ Die Pflanzenkohle ist auch als Futtermittel zertifiziert. Wenn es dem Tierfutter beigemischt wird, sinkt die Geruchsbelastung durch den Kot um ein Vielfaches. Die Kohle kommt außerdem in Geflügelställen als Einstreu zum Einsatz: Sie bindet Ammoniak, wodurch die Emissionen in der Luft geringer sind und sich Mensch und Tier im Stall wohler fühlen.

Klimafreundlicher Asphalt. Besonders stolz ist Ilg auf sein Projekt „Grüner Asphalt“: Vor ein paar Tagen wurde auf einer Teststrecke in Dornbirn weltweit das erste Mal Asphalt verlegt, dem Pflanzenkohle beigemischt ist. Dadurch soll CO2 langfristig gebunden werden. Der Dornbirner möchte damit aufzeigen, dass Asphalt nicht nur klimaneutral, sondern auch klima-positiv sein kann. Die Haftung für die 50 Quadratmeter Testbelag hat Tobias Ilg selbst übernommen. „Die einen sagen, wir sind Pioniere, die anderen sagen, wir sind verrückt“, lacht er. „Grüner Asphalt“ ist eine Kooperation mit der Straßenbaufirma Migu und dem Systemlieferanten Syncraft. Familie Ilg sieht beim Einsatz von Pflanzenkohle im Straßenbau großes Potenzial, möchte sich selbst an der Idee aber nicht bereichern. „Wir zeigen nur vor, was möglich ist. Danach steigen wir aus dem Asphaltgeschäft wieder aus“, so der Unternehmer. Die Zusammensetzung des neuartigen Asphalts soll frei zugänglich sein, sobald die Zertifizierung abgeschlossen ist.
Neben seinen vielseitigen beruflichen Tätigkeiten engagiert sich Tobias Ilg auch noch bei der Freiwilligen Feuerwehr und im Jagdausschuss Dornbirn, ist Obmann des Biomasseverbands Vorarlberg, Mitglied beim Fachausschuss Energie der Landwirtschaftskammer und Vorstandsmitglied der Arge Kompost Biogas. Dass der Vorarlberger über ein umfassendes Wissen im Bereich erneuerbare Energien verfügt, ist inzwischen auch bei Politikern bekannt. So wird der Landwirt des Jahres 2018 gerne um seine Einschätzung gefragt, wenn es um Gesetzesänderungen geht. „Auf Bundesebene konnte ich schon an dem einen oder anderen Gesetzestext mitwirken“, erzählt er stolz. Um neue Energie zu tanken, geht der Vater zweier Töchter gerne in den Wald. Schon sein Großvater Ulrich wusste, dass hier der beste Ort ist, um Kraft zu sammeln.

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Fotos: NEUE Vorarlberger Tageszeitung